Gmünder warten aufs Wohngeld: „Wenn ich nicht arbeiten würde, hätte ich es leichter“
Antragsstau und Rückstände von mehreren tausend Euro, die sie irgendwie zwischenfinanzieren oder einsparen müssen: Wie Gmünder Familien unter dem Bürokratie-Aufwand fürs Wohngeld leiden.
Schwäbisch Gmünd. Eine erfreuliche Reform, da waren sich Stadträte und Verwaltung beim Start einig: Für Bürger mit einem kleinen bis mittleren Einkommen kann das im Januar 2023 gestartete „Wohngeld plus“ eine große Hilfe sein.
Erfreulich? Alisa Ramanaj sieht genervt aus, wenn sie übers Wohngeld redet. Die Gmünderin gehört zu denen, die mit ihrer Familie Anspruch auf Wohngeld hat. Ihr Konto war trotzdem leer: „Ich habe 12 Monate gewartet, bis mein Bescheid bewilligt war.“ Ramanaj hat drei Kinder, ihr Mann arbeitet bei der GOA, sie arbeitet nur deshalb nicht, weil sie im Moment in Elternzeit ist.
Langes Warten auf zwölfmal 541 Euro
Alisa Ramanaj hat den Unterschied zwischen Theorie und Praxis erfahren müssen. Denn Warten heißt auch: auf Geld warten, das ihr nach dem Gesetz zusteht: zwölfmal 541 Euro im Monat, die Ramanaj erst nach einem Jahr als Gesamtsumme überwiesen bekam. Khadija Qweider, Mutter mit einem Kind, hat erst mal vier Monate gewartet –um dann zu erfahren, dass sie noch Unterlagen nachreichen muss.
Es klemmt nach wie vor bei der Wohngeldstelle in Gmünder. Die Zahl der angestauten, nicht bearbeiteten Anträge geht in die hunderte. Das hat Bürgermeister Christian Baron im September berichtet, nachdem die söl-Fraktion im Gemeinderat nachgefragt hatte. Zum Jahreswechsel 2023/24 waren es sogar tausend gewesen. Zwei Monate später habe sich am Stau und der Personalsituation nichts verändert, sagt Stadtsprecherin Ute Meinke auf Anfrage. Ein wenig konnte die Bugwelle im laufenden Jahr verkleinert werden. „In der Zeit von Januar bis Oktober 2024 gab es 2073 neu eingegangene Wohngeldanträge. Abschließend bearbeitet wurden 2220 Vorgänge, so dass die Rückstände um rund 150 Anträge abgebaut wurden“, sagt Meinke.
Vermieter und Energieversorger wollen monatlich ihr Geld
Bürokratie-Wörter und Zahlen, die für viele Menschen stehen, die von Monat zu Monat aufs Geld schauen müssen – und wie sie die Wartezeit überbrücken. Weil Vermieter, Energieversorger trotzdem monatlich bezahlt werden wollen. „Ich habe dann eben einen Kredit aufgenommen“, erzählt Ernesa Demiri, auch sie Mutter von drei Kindern. Die Kreditzinsen? Die seien am Ende natürlich ihr Problem, sagt sie.
Am Wohngeld hängt noch ein mehr: Die so genannten „Leistungen für Bildung und Teilhabe“ – Zuschüsse für Schulessen, Bus, Schulausflüge, Sportverein – gibt’s erst, wenn fürs Wohngeld ein Bewilligungsbescheid vorliegt.
Nicht arbeiten gehen wäre unkomplizierter
Regina Krieg und Lisa Grimmbacher von der a.l.s.o. helfen als Beraterinnen vor allem Müttern beim Papierkrieg rund ums Wohngeld, finanziert wird ihre Arbeit durch EU-Gelder. Man kann es so sehen: Mit Geld aus einem EU-Topf wird in Kommunen Hilfe finanziert, um die Folgen von Bundesgesetzen abzumildern. „Es ist einfach ein riesiger Aufwand“, sagt Krieg. Alle zwölf Monate muss neu beantragt werden, wieder mit allen Unterlagen. „Ganz anstrengend wird es, wenn sich Lebensumstände ändern, wenn zum Beispiel der Vater plötzlich Krankengeld statt Lohn bekommt“, so Grimmbacher. Demiri und Alisa Ramanaj ärgern sich auch darüber, dass sie es leichter hätten, wenn sie und ihre Ehemänner nicht arbeiten würden: „Dann bekommt man Bürgergeld und das Jobcenter zahlt“, sagt Ramanaj.
Bürokratie, die schneller wächst als das Personal
Die Stadtverwaltung hatte auf die Zunahme der Berechtigten durchs neue Bundesgesetz mit Personalaufstockung reagiert. Aus 2,5 Mitarbeitern im Jahr 2020 sind bis Anfang 2024 elf geworden. Regina Krieg und Lisa Grimmbacher haben an der Arbeit der städtischen Wohngeld-Mitarbeiter nichts auszusetzen. „Die müssen sich an ihre Vorschriften halten. Nicht die Personen, die Strukturen sind das Problem“, sagt Krieg. Die Bürokratie ist offenbar schneller gewachsen als das Personal. Tun könne man trotzdem etwas, argumentieren die söl-Stadträte Andreas Dionyssiotis und Andreas Benk, die das Thema schon länger im Blick haben. „Es gibt Kommunen, die wesentlich schneller sind“, sagt Dionyssiotis.
Woher stammen die 15 Euro?
Auch „Bürokratie“ ist ein abstrakter Begriff. In der Praxis sieht er zum Beispiel so aus: „Meine Kontoauszüge muss ich, in Zeiten von Online-Banking, immer auf Papier einreichen“, erzählt Ernesa Demiri. Und sie muss mit Nachfragen rechnen. Lisa Grimmbacher nennt nur ein Beispiel: „Wenn da 15 Euro von Bekannten oder der Verwandtschaft überwiesen werden, muss das Amt nachfragen, woher dieses ‚Einkommen‘ stammt.“
Hilfe bei der Gmünder a.l.s.o.
Regina Krieg und Lisa Grimmbacher helfen Wohngeld-Beziehern im Bürokratiedschungel mit dem Projekt KiZplus 5.0: Das ist Teil der so genannten „Phoenix Genossenschaft“ und wird durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und die EU über den Europäischen Sozialfonds Plus (ESF Plus) gefördert (Programms „Akti(f) Plus – Aktiv für Familien und ihre Kinder“).
Copyright Gmünder Tagespost, 20.11.2024