Gmünder Bürgermeister Christian Baron: Waffenverbotszonen sind kein Allheilmittel
Messer-Tatort Gmünder Innenstadt: Rechts- und Ordnungsbürgermeister Christian Baron spricht über Ursachen zunehmender Gewalt und darüber, was man dagegen tun kann.
Schwäbisch Gmünd. „Jeder Zweite hat doch ein Messer bei sich“, hat der Angeklagte bei der Verhandlung über die Messerattacke an Halloween 2022 im Gmünder Freudental gesagt. Tatsächlich? Zumindest werden Messerangriffe häufiger. Im vergangenen Jahr verzeichnete die Polizei im Ostalbkreis insgesamt 158 Straftaten mit Messern und damit gut elf Prozent mehr als im Vorjahr 2022. Damals hat die Polizei Messerangriffe erstmals gesondert in ihrer Statistik ausgewiesen.
Über die Situation in der Gmünder Innenstadt und Mittel gegen diese Entwicklung spricht Ordnungsbürgermeister und Jurist Christian Baron (43) im Interview.
Stichwort Messer-Tatort Innenstadt: Wie ist die Situation in Gmünd aus Ihrer Sicht?
Christian Baron: Da müssen wir zwei Dinge unterscheiden: Es gibt die gefühlte und die tatsächliche Sicherheit. Faktisch ist Schwäbisch Gmünd nicht unsicherer als andere Städte vergleichbarer Größe. Doch wir hatten ein paar wenige sehr schlimme Vorfälle, bei denen Messer zum Einsatz kamen, und die wirken sich auf die gefühlte Sicherheit aus.
Sie reden über den Messerstich in der Ledergasse am Rande des Stadtfests im Juni und die Messerattacke an Halloween 2022 im Freudental?
Baron: Ja, wobei man klar sagen muss, dass der Vorfall im Juni nichts mit dem Stadtfest zu tun hatte. Wir haben in der Innenstadt bestimmte Milieus, in denen wir das Mitführen von Messern häufiger feststellen. Das ist ein Teufelskreis: Wenn einer ein Messer bei sich hat, denkt der andere, er braucht auch eines: um wehrhafter zu wirken und sich zur Not verteidigen zu können.
Definieren Sie „bestimmte Milieus“.
Baron: Wenn wir in die Gefängnisse schauen, wird deutlich, dass 95 Prozent der Insassen männlich sind. Auch Alter, Armut und Bildung sind wesentliche Merkmale. Bei Gewaltdelikten spielt weniger eine Rolle, welche Landsleute die Täter sind, sondern ihr kultureller Hintergrund. Zwei Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass jemand gewalttätig wird: patriarchale Strukturen, in denen sich der Stärkere durchsetzt, und ein aus den Fugen geratener Ehrbegriff. In bestimmten Milieus und Kulturformen kommen diese Faktoren häufiger vor.
Wie kann die Stadtverwaltung dem begegnen?
Baron: Mit dem Problem beschäftigen sich andere Städte genau wie wir. Dabei zeigt sich: Es gibt keine Einzelmaßnahme, mit der man dem schnell begegnen kann. Wir versuchen, die Mittel des Ausländerrechts und die Möglichkeiten der Begleitung der Jugendlichen voll auszuschöpfen. Dabei sind alle gefragt: die Jugendsozialarbeit, Vereine, Schulen, Moscheen und natürlich die Eltern.
Welche Mittel des Ausländerrechts meinen Sie?
Baron: Junge Menschen haben Vorbilder, das war schon immer so und ist ja auch gut. Wenn aber – wie in einer Gmünder Schule geschehen – Verwandte nach einem harmlosen Gerangel unter Achtklässlern ins Klassenzimmer gehen und Rabatz machen, um die Sache zu klären, müssen die Lehrer, die Schulleitung, die Polizei und wir hart durchgreifen. Was wäre das sonst für eine Botschaft für die Schüler? Die müssen sich doch an ihrer Schule sicher fühlen können. In dem konkreten Fall handelte es sich um afghanische Staatsangehörige.
Was haben Sie getan?
Baron: Ich habe sie einbestellt und ihnen klargemacht, dass das bei uns nicht geht, und dass wir ein Ende ihrer Aufenthaltsgenehmigung prüfen. Seither kamen uns keine Vorfälle mehr mit den beiden zu Ohren. Auch der Oberbürgermeister hat schon in Familien im Einzelgespräch klargestellt: Wer bei uns leben will, muss sich an Regeln halten. Und wem unsere Verfassung nicht gefällt, der darf gerne gehen. Diesen Weg versuchen wir parallel zu dem der Polizei und der Gerichte zu beschreiten. Man darf dabei nicht vergessen: Wir werden gerade auch von ausländischen Mitbürgern aufgefordert, tätig zu werden. Sie leiden unter der Gewalt, die sich ja innerhalb der Milieus abspielt. Die Linie verläuft zwischen den Gewaltbereiten und den Friedfertigen, nicht zwischen den Nationen.
Zumal die Friedfertigen wegen ihrer gewaltbereiten Landsleute unter Verruf geraten?
Baron: Ja, das kommt hinzu.
Gab es schon konkrete Konsequenzen?
Baron: In einem Fall haben wir das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.) eingeschaltet und setzen uns für eine Abschiebung ein. Mehr kann ich aus Datenschutzgründen dazu nicht sagen.
Wie wahrscheinlich ist es, dass jemand ausgewiesen wird?
Baron: Das Ausländerrecht ist unglaublich aufwändig, erst recht, wenn es um das Aufenthaltsrecht oder den subsidiären Schutz von Flüchtlingen geht. Aber vor dem Aufwand dürfen wir uns nicht scheuen.
Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein?
Baron: Leute in Länder wie Afghanistan oder Syrien abzuschieben, ist sehr schwer. Doch wir reden hier von Schwerstkriminellen. Nach dem Messerangriff in Mannheim, bei dem ein Polizist getötet wurde, hat die Bundesregierung Maßnahmen angekündigt. Darauf setze ich.
Müssten die Schwerstkriminellen nicht im Gefängnis sein?
Baron: Das sind sie oftmals auch. Ich hätte mir aber in der Vergangenheit an der einen oder anderen Stelle härtere Urteile erhofft. Doch wir haben eine Gewaltenteilung – und eine unabhängige Justiz– und das ist auch gut so.
Was halten Sie von Waffenverbotszonen in Schwäbisch Gmünd, wie Stuttgart und andere Städte sie eingerichtet haben?
Baron: Darüber haben wir mit der Polizei lange diskutiert. Eine Waffenverbotszone hört sich erstmal gut an. Aber beim zweiten Blick merkt man, dass das nicht das Allheilmittel wäre und bei uns wohl wenig bringt. Wir haben nicht den einen Brennpunkt in der Stadt. Wenn wir für einen Bereich ein Verbot aussprechen, verlagert sich die Szene nur woanders hin. Die ganze Innenstadt zur Waffenverbotszone zu machen, würden wir juristisch nicht durchkriegen. Selbst in der Altstadt sind wir mit den Fallzahlen glücklicherweise am Rande der Hürde, die es für eine Waffenverbotszone braucht. Zumal Klappmesser und Messer mit einer Klingenlänge über zwölf Zentimetern per Waffengesetz ohnehin verboten sind.
Die söl-Fraktion im Gemeinderat kritisiert, dass es in Gmünd nur eine Streetworkerin gibt. Wie sehen Sie das?
Baron: Über das Landesprogramm „männlich.jung.geflüchtet“ hätten wir im vergangenen Jahr noch eine Stelle in der mobilen Jugendarbeit finanzieren können. Doch hat sich niemand darauf beworben. Aber wir wollen einen neuen Versuch wagen und die Stelle jetzt unbefristet ausschreiben. Unabhängig davon muss man auch sehen: Es gibt neben der mobilen Jugendarbeit die Jugendsozialarbeiter, die unter anderem im Jugendhaus arbeiten. Wichtig ist, früh an die Jugendlichen heranzutreten, schon im Alter von elf, zwölf Jahren. Mit 16 ist es zu spät. Kein Jugendlicher wird von heute auf morgen kriminell. Sie gleiten eher immer weiter in den Grenzbereich. Die Frage ist, wann sie die rote Linie übertreten – und Gewalt ist dabei die roteste aller Linien. Wir wollen die Jugendlichen vorher erreichen und gerade jenen mit Migrationshintergrund aufzeigen, welche Chancen sie hier bekommen und wie sie sich einbringen können. Die Chance ergreifen, müssen sie dann aber selbst.
Copyright Gmünder Tagespost, 20.07.2024