Ist das Klimaschutz oder kann das weg?
Stadtgestaltung: Im Gmünder Zentrum tauchen dieser Tage wieder die mobilen Stadtbäume in den wuchtigen Blumenkübeln auf. Zu deren Sinn oder Unsinn sind Umweltschützer geteilter Meinung. Einigkeit herrscht darüber, dass langfristig am Einpflanzen kein Weg vorbei führt.
SCHWÄBISCH GMÜND. Der Sommer naht, und in Schwäbisch Gmünd holt der Bauhof schon einmal die mobilen Stadtbäume aus dem Lager. Ob die Pflanzen in den überdimensionierten Blumentöpfen als Frühlingsgruß verstanden werden dürfen, sei dahingestellt. Hingestellt haben die Mitarbeiter der Stadt die Baumzwerge jedenfalls unter anderem im westlichen Abschnitt der Bocksgasse. Unter den Bürgerinnen und Bürgern der Stauferstadt haben die ganz nach Bedarf ein- und umsetzbaren Gewächse beileibe nicht nur Fans; viele sehen die Verschönerungsmaßnahme vielmehr kritisch. Die Rems-Zeitung hat beim BUND Ostwürttemberg, der Gmünder Sektion des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) und der Gemeinderatsfraktion sozial.ökologisch.links (söl) nachgefragt und sich nach deren Standpunkten erkundigt.
„Für uns ist das nur ein Ersatz für fest verwurzelte Bäume“, sagt Andreas Mooslehner, Regionalgeschäftsführer für Ostwürttemberg im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Zwar gelte das Motto: „Jedes Blatt kühlt die Stadt.“ Für die Bäume bedeute es jedoch einen großen Stress, wenn sie alle paar Monate umplatziert würden und die Sonne dann wieder aus einem komplett anderen Winkel auf sie scheine. Schließlich richteten sich die Pflanzen in ihrem Wachstum am Lauf der Sonne aus, unter anderem bei der Bildung von Zweigen und Blättern. Ein geschlossenes Blätterdach einer ausgewachsenen Linde, wie sie glücklicherweise noch auf dem Johannisplatz zu finden sei, könnten auch 100 mobile Stadtbäume
kaum ersetzen. Kritisch sieht Mooslehner, dass den Stadtbäumen die „Luft zum Atmen“ zunehmend genommen wird, auch bei eingepflanzten Exemplaren in der Regel nach einer Umlaufzeit von 20 Jahren Schluss sei und sie ersetzt würden. „Das ist nicht Sinn der Sache“, wünscht sich der
BUND-Regionalchef von der Gmünder Stadtverwaltung vor allem eine nachhaltigere Strategie bei der Stadtbegrünung. „Nicht sinnvoll“ sind die
mobilen Stadtbäume in den Augen von Walter Beck, Pressereferent des Nabu in Gmünd. Er legt dar, dass Bäume in der Stadt hauptsächlich drei Funktionen erfüllen: „Erstens kühlen sie das Stadtklima im Sommer ab und spenden Schatten. Zweitens tragen sie zur Artenvielfalt bei, indem sie Tieren und Pflanzen Lebensraum bieten. Und drittens erhöhen sie die Lebens und Aufenthaltsqualität für Einwohner und Gäste.“ Bei allen drei Punkten sei der Effekt bei mobilen Bäumen aber um ein Vielfaches geringer als bei solchen, die fest im Erdboden verwurzelt seien. „Ein Vogel
wird sich in einem mobilen Stadtbaum kaum ein Nest bauen“, gibt Walter Beck zu bedenken, „und auch gegen die Sommerhitze bringen mobile Bäume nicht sehr viel.“ Dass die Gewächse in Autos von A nach B gefahren würden, verschlechtere die Klimabilanz der mobilen Stadtbäume weiter. Das Argument, der Einsatz der Topfpflanzen vermittle den Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl dafür, wie dieser oder jener Fleck mit einem eingepflanzten Baum aussähe, lässt der Nabu-Referent gelten – appelliert aber auch an das Rathaus, sich nicht dahinter zu verstecken. „Die Stadt darf aus den mobilen Stadtbäumen keine dauerhafte Lösung machen“, drängt Walter Beck beim Thema Baumplanzungen in der Innenstadt auf ein ehrgeizigeres Tempo. „An Planzungen führt auf lange Sicht kein Weg vorbei.“
Klar positioniert sich auch die Fraktion söl im Gmünder Gemeinderat gegen den Einsatz der mobilen Stadtbäume. „Das ist nicht viel mehr als eine optische Geschichte“, hält Stadtrat Sebastian Fritz den Nutzen dieses Instruments für das Stadtklima für begrenzt. Der Gesprächsbedarf in der Stadtgesellschaft zu dem Thema sei offenkundig: „Wenn man sich das Stadtgespräch anhört, gibt es wenige Themen, die die Bürger so sehr beschäftigen wie die Begrünung der Altstadt“, berichtet Fritz. „Über die mobilen Stadtbäume schüttelt fast jeder nur den Kopf. Ich persönlich habe erst ganz wenige getroffen, die davon wirklich total begeistert waren.“ Bessere Maßnahmen für Stadtklima und Umweltschutz enthalte das durch den
Landschaftsarchitekten Jochen Köber ausgearbeitete Konzept „Grüne Urbanität“, dessen Verabschiedung durch den Gemeinderat im Februar Sebastian Fritz als „erstes gutes Ergebnis“ in diesem Feld bezeichnet. Zuvor habe sich seine Fraktion lange für mehr Bepflanzung in der Innenstadt starkgemacht. Das Ideenpaket „Grüne Urbanität“ habe nur einen Makel: Der Gemeinderat habe die Maßnahmen, die Köber auch für das Areal Johannisplatz, Marktplatz und vordere Bocksgasse entworfen hatte, aus dem Gesamtkonzept ausgeklammert und wolle darüber zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal separat beraten und entscheiden. Für Fritz das falsche Signal: „Gerade in diesem Bereich wird zusätzliche Begrünung besonders dringend benötigt“, weist der Stadtrat auf die kargen Pflasterflächen hin, die sich im Sommer regelmäßig stark aufheizten und an ein längeres Verweilen gar nicht mehr denken ließen.
Dass Platz für Veranstaltungen vorgehalten werden müsse, sei kein ausreichendes Gegenargument, findet Sebastian Fritz: „Stadtfest und Weihnachtsmarkt könnten auch dann noch stattinden, wenn auf dem Marktplatz ein paar Bäume stünden.“
Der Gemeinderat, spricht Andreas Mooslehner ein Lob aus, habe die Zukunftsaufgabe erkannt. „Sicher wird das auch ein wichtiges Thema im nächsten Kommunalwahlkampf sein“, blickt er voraus. Und wünscht sich, dass Bäume eines Tages so selbstverständlich als Teil der städtischen Infrastruktur betrachtet werden wie Strom- und Gasleitungen.
Großstädte als Vorbild
Wanderbäume: Bei der Konzeption der mobilen Stadtbäume hat sich die Stadt Schwäbisch Gmünd ein Beispiel an den Wanderbaumalleen in München, Stuttgart und Köln genommen. Eine Anfrage dazu, wie es sich mit der Klimabilanz der mobilen Bäume verhält, ließ die Stadtverwaltung bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet.
Copyright Rems Zeitung, 26.05.2023 Benjamin Richter