Ist jedes neue Einfamilienhaus ein Fehler?
Was ist das beste Mittel gegen Flächenverbrauch? Der Geograph Stefan Flaig vom Beratungsunternehmen Ökonsult in Stuttgart hat eine Antwort.
Schwäbisch Gmünd. Es muss kein einziges Einfamilienhaus mehr gebaut werden, weil es schon genug gibt – sie werden nur nicht richtig genutzt. Davon ist der Geograph Stefan Flaig überzeugt – warum, das hat er bei einem Vortrag auf Einladung der Gmünder Klimainitiative im Gmünder Stadtgarten erklärt.
Flaig unterlegt seine Thesen mit vielen Daten: Er zeigt etwa eine Karte mit vielen grünen Punkten, es ist ein Wohngebiet einer baden-württembergischen Kleinstadt. Die grünen Punkte bedeuten: in diesen Häusern ist der jüngste Bewohner 75 Jahre oder älter. Flaig skizziert die Geschichte, die sich hunderttausendfach abspielt in deutschen Einfamilienhäusern: Erst wohnt eine vierköpfige Familie auf 130 oder 160 oder 200 Quadratmetern, dann ziehen die Kinder aus. Wenn ein Ehepartner stirbt, wohnt nur noch ein Mensch auf der großen Fläche, die er gar nicht braucht.
„Erklärtermaßen will niemanden Senioren rausschmeißen aus ihren zu großen Häusern“, sagt Flaig. Aber er sieht die Wohnungsbaupolitik einer Kommune gefragt: „Es gibt zu viele Einfamilienhäuser, in denen nur noch ein alter Mensch lebt. Das ist ein Problem, das man lösen kann.“ Flaigs Ansatz: Wer Senioren Angebote fürs Wohnen macht, in denen sie „bedarfsgerechter wohnen als vorher“, der der tut etwas gegen den Flächenverbrauch, denn so werden die Altbauten frei für junge Familien. Flaig ist sich sicher, dass viele ältere Hausbesitzer durchaus sehen, dass ihre Wohnform nicht mehr zu ihnen passt: „In Umfragen sieht man: Fast alle haben einen Garten und wollten keinen mehr; für viele wird das Leben mit Treppen beschwerlich.“
Der Geograph rät dringend, bei dem großen Bestand an gealterten Einfamilienhäusern anzusetzen, weil der ständig neu dazu gebaute Platz gesamtgesellschaftlich vollkommen unnötig ist. Denn die Bevölkerung wächst nicht, sie wird im Schnitt älter. „Es werden Häuser gebaut, die man eigentlich gar nicht braucht.“ Jedes neue Einfamilienhaus sei ein Fehler, „jedes Einfamilienhaus produziert einen Leerstand“.
Und trotzdem geht’s immer weiter mit Neubaugebieten, auch in Gmünd: in den Straßdorfer Käppelesäckern, im Bargauer Strutfeld, im Holder in Großdeinbach, im Gmünder Feld in Herlikofen und vielen weiteren Gebieten. Weil der Bedarf da sei, ist das Argument der Planer. Flaig sieht das anders: Damit nehmen Kommunen die Entwicklung zu immer mehr Wohnfläche pro Einwohner als gegeben hin statt etwas dagegen zu tun, sagt er. Die Folge: „Die meisten Kommunen planen am eigentlichen Bedarf vorbei. Der eigentliche Bedarf sind altersgerechte Wohnungen und preiswerte Mietwohnungen.“ Wer habe denn die Wohnungsnot?, fragt Flaig. Nicht die solventen Häuslebauer: „Krankenpfleger, Beschäftigte im Einzelhandel – da ist aus meiner Sicht echte Wohnungsnot.“
Dass Wohnraum immer teurer wird, habe mit steigenden Baukosten zu tun, mehr aber mit viel stärker gewachsenen Grundstückpreisen. „Es ist nicht die Nachfrage, sondern das Nullangebot, das völlig ungerechtfertigt den Grundstückspreis treibt, das macht das Problem aus.“
Dass dies Nullangebot auch durch leerstehende Häuser verschärft wird, findet Flaig inakzeptabel. Er hat Zahlen aus Böblingen: fünf Prozent der Häuser stehen dort leer. „Ich sage schlicht Leerstand ist asozial, das ist kein Möbelstück, das muss seiner Zweckbestimmung zugeführt werden.“ Das sei „eine soziale Notwendigkeit, auch wenn es sich sehr provokant anhört“, sagt Flaig und verweist auf den Artikel 14 im Grundgesetz: „Eigentum verpflichtet“, steht da. Darum halte er es für richtig, Leerstand zu bestrafen. Die gesetzliche Möglichkeit dazu gebe es durch das so genannte „Zweckentfremdungsverbot“. „Ich wäre für eine Leerstandabgabe“, sagt Flaig.
Der Geograph fasst es so zusammen: “Es gibt viele Methoden, wie man das hinkriegen kann, dass ein Teil der Einfamilien- und Zweifamilienhäuser frei wird. Da muss eine Kommune viel mehr zur Verfügung stellen.“
Copyright Gmünder Tagespost, 30.09.2022 Bernd Müller
Hier findet sich die Aufzeichnung der Veranstaltung: