Kritik am Lärmaktionsplan Schwäbisch Gmünd: Sind die Werte zu niedrig?

Aus der Rems Zeitung vom 15.04.2025: Die Fraktion „sozial.ökologisch.links“ (s.ö.l.) im Gmünder Gemeinderat übt scharfe Kritik am vorgelegten Entwurf des Lärmaktionsplans der Stadt. Nun richtet sie eine Stellungnahme an die Verwaltung – mit Forderungen.
Schwäbisch Gmünd. In einer aktuellen Stellungnahme, die an die Stadtverwaltung gerichtet ist, fordert die Fraktion um Stadtrat Sebastian Fritz eine vollständige Überarbeitung der Lärmberechnungen – und stellt die Frage, ob die Verwaltung den Forderungen nachkommen werde oder aus welchen Gründen sie dies ablehne.
„Der von der Stadt vorgelegte Entwurf des Lärmaktionsplans basiert auf Lärmwerten, die nicht mit dem verbindlich vorgeschriebenen Verfahren ermittelt wurden, und muss darum von Grund auf überarbeitet werden“, heißt es in der Stellungnahme. Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die angewandte Methodik bei der Ermittlung der Lärmbelastung. Diese beruhe nicht auf den verbindlichen Werten der aktuellen Lärmkartierung 2022, sondern auf eigenen Nachberechnungen der Stadt, die zum Teil deutlich niedrigere Werte ergeben hätten.
Kritik an Berechnungsverfahren der Stadt
Die Grundlage der Kritik bildet die neue Lärmkartierung der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW) aus dem Herbst 2023. Diese beruht auf einem europaweit verbindlichen Berechnungsverfahren, das gegenüber früheren Methoden detailliertere Kenngrößen berücksichtigt – etwa Straßensteigungen, Richtungswechsel oder meteorologische Einflüsse.
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Die neue Kartierung zeige eine erhebliche Zunahme der lärmbetroffenen Bevölkerung in Schwäbisch Gmünd. So stieg laut LUBW die Zahl der Personen, die einem Lärmpegel von 65 Dezibel (A) oder mehr ausgesetzt sind, von 905 im Jahr 2017 auf 3727 im Jahr 2022. Auch die Zahl der besonders stark betroffenen Personen ab 70 dB(A) stieg massiv an: von 197 auf 1054. Besonders alarmierend: 104 Personen sind einem Lärmpegel von 75 dB(A) oder mehr ausgesetzt – 2017 lag dieser Wert noch bei null. Ebenso sei die Zahl lärmbelasteter Schulgebäude deutlich gestiegen – von zwei auf 14, davon zwei mit Werten über 75 dB(A).
Stadt rechnet eigene Werte – und liegt oft darunter
Zwar begrüßt die s.ö.l.-Fraktion, dass die Stadt eigene Lärmberechnungen auch für Straßen wie die Buchstraße, Goethestraße oder Königsturmstraße angestellt hat – also für Straßen, die in der Lärmkartierung 2022 der LUBW nicht enthalten sind. Allerdings kritisiert die Fraktion, dass die Stadt auch für Straßen, die in der LUBW-Kartierung erfasst wurden, eigene Werte ermittelt habe – und zwar mit einem vereinfachten Verfahren, das laut Stellungnahme mehrere wichtige Einflussfaktoren auslässt. Darunter unter anderem Straßensteigungen unter fünf Prozent, zweite Schallreflexionen oder meteorologische Einflüsse.
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Das Ergebnis: Die städtischen Werte liegen vielfach unter den von der LUBW veröffentlichten Werten. Nach Ansicht der s.ö.l.-Fraktion sind damit die im Entwurf vorgeschlagenen Lärmschutzmaßnahmen unzureichend.
Vier zentrale Forderungen
In ihrer Stellungnahme formuliert die Fraktion vier konkrete Forderungen. Erstens solle im Rahmen der verpflichtenden Öffentlichkeitsbeteiligung explizit auf die Online-Verfügbarkeit der LUBW-Lärmkarten hingewiesen werden, damit Bürgerinnen und Bürger selbst nachvollziehen können, wie hoch die Belastung an ihrem Wohnort ist. Zweitens fordert die Fraktion, dass für bereits kartierte Straßen ausschließlich die verbindlichen Werte der LUBW übernommen werden. Drittens müssten die städtischen Berechnungen für nicht kartierte Straßen überprüft und entsprechend den verbindlichen Vorgaben korrigiert werden.
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Viertens müsse der gesamte Entwurf des Lärmaktionsplans auf Basis der korrigierten Lärmwerte überarbeitet werden. Denn nur so könne sichergestellt werden, dass in allen betroffenen Bereichen – insbesondere ab 65 dB(A) – die notwendigen Schutzmaßnahmen ergriffen würden.
Lärm als Gesundheitsrisiko
Die Fraktion verweist in ihrer Stellungnahme auch auf die gesundheitlichen Gefahren durch Lärmbelastung: „Lärm gefährdet nachweislich die Gesundheit“, heißt es wörtlich. So könne Lärm unter anderem zu Bluthochdruck, Herzinfarkten, Schlafstörungen oder Leistungsabfall in der Schule führen. Besonders kritische Schwellen seien 65 dB(A), ab denen lärmmindernde Maßnahmen eingeführt werden sollen, 67 dB(A), ab denen Maßnahmen verpflichtend seien – und 70 dB(A), ab denen eine akute Gesundheitsgefährdung bestehe.
Darüber hinaus zeigen aktuelle wissenschaftliche Studien, dass Lärm noch weitreichendere Auswirkungen haben kann: Laut einer Untersuchung des Umweltbundesamts erhöht sich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Depressionen und Angststörungen deutlich bei anhaltendem Verkehrslärm. Eine Zunahme des Lärms um zehn Dezibel steigert das Erkrankungsrisiko für Depressionen demnach um bis zu elf Prozent – bei Fluglärm sogar um 15 Prozent für Angststörungen.
Lärm
Was sind Dezibel?
Schallpegel werden in Dezibel gemessen, die Abkürzung ist dB. Häufig findet man die Abkürzung dB(A). Das A bedeutet, dass die Messung des Schallpegels an das menschliche Gehör angepasst wurde. Wenn Blätter rauschen, liegt ein Schallpegel von etwa zehn dB(A) vor, wenn sich Menschen unterhalten sind das rund 55 dB(A). Ein Lastwagen bringt es auf 85 dB(A). Forscher sind sich einig, dass dauerhaft hohe Geräuschpegel gesundheitsschädlich sind.
Bereits Schallpegel ab 30 dB(A) können laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung die Schlafqualität beeinträchtigen und Konzentrationsstörungen verursachen. Ab 60 dB(A) steigt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, ab 85 dB(A) drohen bei langfristiger Einwirkung sogar Innenohrschäden. Zum Vergleich: Ein Pkw verursacht durchschnittlich 67,7 dB(A), ein Lkw rund 85 dB(A). Laut Umweltbundesamt sind in Deutschland rund 2,3 Millionen Menschen dauerhaft Pegeln von mehr als 65 dB(A) ausgesetzt, viele leiden nachts unter Werten über 55 dB(A). Drei Viertel der Bevölkerung fühlen sich durch Verkehrslärm belästigt.
Hintergrund: Diskussion im Gemeinderat
Der Lärmaktionsplan war zuletzt im Februar Thema im Klima-, Umwelt-, Energie- und Bauausschuss des Gemeinderats. Dabei wurde ein Konzept vorgestellt, das unter anderem durchgängige Temporegelungen vorsieht – etwa Tempo 30 in der Innenstadt, Tempo 50 auf den Hauptdurchgangsstraßen und Tempo 40 auf wichtigen Zubringerstraßen wie der Goethestraße. Die Berechnungen, so betonte Erster Bürgermeister Christian Baron damals, seien als Diskussionsgrundlage gedacht. Die Detailbetrachtung einzelner Straßen solle in Ortschaftsräten und Stadtteilforen erfolgen.
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Einige Ratsmitglieder hatten sich bereits im Ausschuss kritisch zu den Berechnungen geäußert. Vor allem die Tatsache, dass es sich um modellhafte Berechnungen und nicht um reale Messungen handle, stieß auf Skepsis – etwa bei Martin Bläse (CDU). Andere wie Karl Miller (Grüne) betonten hingegen, dass die Belastung real sei – und aus eigener Erfahrung belegt werden könne.
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