Wie viele Wohnungen braucht es?
Stefan Flaig von Ökonsult Stuttgart referiert im kleinen Leutze Saal im CCS Stadtgarten Schwäbisch Gmünd über die Herausforderungen des demografischen Wandels und den Wohnungsbau.
SCHWÄBISCH GMÜND. Stefan Flaig, Geograph und Experte für Siedlungsentwicklung, Energie/Klimaschutz, Klimaanpassung und Verkehr berät seit rund 20 Jahren Kommunen in Sachen nachhaltige Entwicklung. Er sagt: „Die meisten Kommunen planen am wirklichen Wohnungsbedarf vorbei, auch an dem Bedarf preiswerter Mietwohnungen“. Völlig falsch sei, so Flaig, dass mehr Neubaugebiete erschlossen und gebaut werden müssten. Dies begründet er mit dem demografischen Wandel und der Tatsache, dass weniger Kinder nachkommen als es Alte gibt: „Deutschland ist das zweitälteste Land der Welt, nach Japan“, so Flaig, der auf Initiative der Klimainitiative Schwäbisch Gmünd und des BUND Regionalverbands Ostwürttemberg referierte.
In Stuttgart seien bereits heute rund 50 Prozent der Haushalte Single-Haushalte: „Und 13 Prozent der Wohnungen sind von Senioren die älter als 65 Jahre sind bewohnt“, das seien umgerechnet rund 35.000 Haushalte. „Es besteht eine große Differenz zwischen jungen Familien die ein Haus oder eine Wohnung suchen und Angeboten an Häusern“, erklärt Flaig. Das liege unter anderem an den Erben, die die Häuser als „Betongold“ zurückhalten: „Da der Immobilienwert auf dem Papier potenziell steigt“, führt Flaig aus. Zudem nennt der Siedlungsexperte das Problem, dass die Kommunen ihre Wohnungsbedarfsrechnungen primär nach Köpfen, also nach Menschen, die potenziell Wohnraum anfragen, berechnen. So komme der Effekt zustande, dass mit mehr Wohnraum gerechnet werde, als schlussendlich gebraucht würde. Er empfiehlt, dass die Gemeinden und Städte nach Bedarfsgruppen rechnen, also beispielsweise, wie viele
barrierefreie Wohnungen notwendig seien.
Scharfe Kritik übt Flaig vor allem an dem Leerstand, den viele Kommunen nicht nutzen. Hierbei bezieht er sich unter anderem auf die Stadt Böblingen bei Stuttgart. „Dort stehen 5,8Prozent der Häuser leer. Das
sind in absoluten Zahlen 445 Häuser“, weiß der Siedlungsexperte. Damit die Kommunen künftig bedarfsgerechter planen und nicht noch weitere Flächen versiegeln, schlägt Flaig vor, dass
die Kommunalplanung mehr auf preiswerte Miet- und Seniorenwohnungen ausgerichtet wird. Denn, so Flaig, jedes neue Einfamilienhaus lasse ein altes Haus zurück. Als letzten Punkt nannte er die kommunale Bodenvorratspolitik, was so viel bedeute, dass die Kommunen Grundstücke nicht verkaufen, sondern selbst zukaufen und hierauf beispielsweise altersgerechten Wohnraum schaffen. Darüber hinaus nennt der Geograph verschiedene so genannte „Push & Pull“ Maßnahmen, bestehend aus Geboten und Verboten, um die Probleme künftig zu lösen. Hierunter unter anderem die Idee, die Nachfrage junger Familien auf
Bestandsgebäude zu lenken, das Zweckentfremdungsverbot einzusetzen und Leerstand zu bestrafen sowie Vermietungsgesellschaften zu gründen. Im Anschluss an den Vortrag meldeten sich einige Gmünder Gemeinderäte zu Wort. Martin Bläse von der CDU sagte, dass ihm viele der genannten Problemstellungen nicht unbekannt seien und dass die Stadt die Herausforderungen angehe. „Dass wir so weitermachen wie in den letzten 70 Jahren geht nicht“, so Bläse. Gabriel Baum, Sprecher der Grünen-Fraktion im Gemeinderat, plichtete der Idee, neue Bestandsaufnahmen zu machen bei und ergänzt: „Wenn wir unseren Flächenverbrauch so handhaben wie den Energieverbrauch, fahren wir an die Wand“. Andreas Benk von den Linken merkte an, dass er und seine Fraktion mit ihrem Anliegen, nicht die einfachste Lösung zu wählen, also weniger Ein- und Zweifamilienhäuser auf die grüne Wiese zu bauen, bisher gescheitert seien. Die Tendenz der Stadtverwaltung sei, dass so weitergemacht werde wie in den vergangenen Jahrzehnten, dies zeige sich unter anderem darin, dass Gmünd rund vier Mal mehr Fläche verbrauche, als eigentlich vorgesehen, findet Benk. Michael Weber vom Gemeinderat Waldstetten merkte an, dass freie Flächen vor allem auch aus landwirtschaftlicher Sicht wichtig seien um hierauf Nahrungsmittel zu produzieren. Zudem bedeute Flächenschutz auch Artenschutz und Klimaschutz, so der Landwirt.
Copyright Rems Zeitung, 06.10.2022